
Hallo Simon! Wo sind wir für dieses Gespräch? Und: Was machst du hier?
Wir befinden uns hier im INFORAMA Waldhof in Langenthal. Schön, wie der Waldhof gelegen ist! Das war früher mal einer der Standorte, wo landwirtschaftlich tätige Menschen ausgebildet wurden – Landwirte ebenso wie Bäuerinnen. Heute befinden sich hier zwei Klassen der Berufsschule sowie Integrationsklassen. Die Hauswirtschaftsschule wird immer noch betrieben und wir beraten bei landwirtschaftlichen, betriebswirtschaftlichen Themen und auch bei produktionstechnischen Fragen, wie zum Beispiel zum Biolandbau und der regenerativen Landwirtschaft.
Die regenerative Landwirtschaft ist bis heute eher ein Begriff für Insider. Kannst du in einfachen Worten erklären, für was die regenerative Landwirtschaft steht?
Aber sicher! Wie der Name schon verrät, geht es ums Regenerieren. Aber es sind nicht nur Böden, wie die meisten meinen, sondern auch ganze Ökosysteme damit gemeint – also alles, was zu Agroforst, Permakultur, Keyline Design und Slow Water gehört. In der Regeneration hat das alles seinen Platz. Die regenerative Landwirtschaft ist sehr offen und dynamisch zu verstehen: ganzheitlich und ohne ein weiteres spezifisches Label.
A propos: Fachbegriffe…
Agroforstwirtschaft
Mit dem Begriff Agroforstwirtschaft werden Landnutzungssysteme bezeichnet, bei denen Gehölze (Bäume oder Sträucher) mit Ackerkulturen und/oder Tierhaltung so auf einer Fläche kombiniert werden. Ziel ist, dass zwischen den verschiedenen Komponenten ökologische und ökonomische Vorteilswirkungen entstehen.
Keyline Design
Eine komplexe Methode zur Gestaltung von Landwirtschaftsbetrieben: International bekannt ist sie insbesondere dafür, dass mit ihren Prinzipien Wasser auf einer Fläche verteilt werden und besser für die Pflanzen zur Verfügung stehen kann. Eingesetzt werden kann Keyline Design zum Wassermanagement als Hochwasserschutz, gegen Bodenerosion durch Starkregen sowie in Dürreregionen gegen eine Austrocknung des Bodens
Permakultur
Der australische Biogeograf Bill Mollison (er gilt zusammen mit David Holgren als «Vater der Permakultur) beschreibt den Begriff wie folgt: «Die Philosophie hinter Permakultur will mit und nicht gegen die Natur arbeiten, sie ist eine Philosophie der fortlaufenden und überlegten Beobachtung und nicht des fortlaufenden und gedankenlosen Handelns; sie betrachtet Systeme in all ihren Funktionen, anstatt nur eine Art von Ertrag von ihnen zu verlangen.»
Slow Water
Das breit abgestützte Projekt Slow Water hat im Januar 2024 begonnen und dauert insgesamt sechs Jahre. Durch die Kombination einer Vielzahl an Massnahmen in einem Einzugsgebiet soll das Regenwasser im Abfluss verlangsamt sowie verstärkt im Boden versickert und gespeichert werden.
Spurenelemente
Zu den Spurenelementen mit erwiesener physiologischer Funktion gehören Eisen, Zink, Selen, Kupfer, Molybdän, Kobalt, Chrom und Jod. Es gibt noch weitere Spurenelemente mit spezifischen Funktionen, deren Essentialität (= Wichtigkeit für den Körper) jedoch nicht bewiesen ist.
Untersaat
Die sogenannte «Zwischenfrucht» maximiert die Photosynthese und schliesst die Ernährungslücke der Bodenorganismen zwischen der Abreife der Hauptkultur und der vollen Entwicklung einer Folgekultur oder Zwischenfrucht.
«Bern ist Bio» fördert vor allem regionale, biologische Akteurinnen und Akteure und Produkte. Gibt es wesentliche Unterschiede zwischen der biologischen und der regenerativen Landwirtschaft? Da gibt es doch sehr viele Gemeinsamkeiten. Ich denke da beispielsweise an Zwischensaaten zur ganzjährigen Bodenbedeckung oder die Förderung der Bodendiversität…
Tatsächlich gibt es viele Gemeinsamkeiten. Bei den regenerativen Methoden beruft man sich in vielen Dingen auch auf altes und überliefertes Wissen. Ich denke beispielsweise an die Untersaat im Getreide: Diese wird auch in der regenerativen Landwirtschaft gelebt. Früher war das selbstverständlich. Ich kann mich noch daran erinnern, wie mein Grossvater uns Kindern sagte: «Wir wollen noch grasig säen gehen im Getreide». Das war auch nichts anderes als eine Untersaat. Früher wurde viel Gutes gemacht, ohne dass man sich immer dem tieferen Sinn bewusst war. Ihre Absicht war bloss, danach sofort Gras zur Verfügung zu haben.
Aber es ist nicht nur die Bio-Landwirtschaft, die wir in den regenerativen Methoden wiederfinden. Es werden auch neuere Erkenntnisse integriert, zum Beispiel die ganzen Aspekte der Spurenelemente, die ja bei allen Lebewesen zentral sind für die Gesunderhaltung des Organismus.
Dazu kommt mir das von Stefan Hügel verfasste Buch «Die Mineralienwende» in den Sinn. Er thematisiert darin die Bedeutung von Mineralien und Spurenelementen und erklärt, wo diese in der heutigen Landwirtschaft oft auf der Strecke bleiben. Oder Regenerativ Schweiz arbeitet via EDAPRO eng mit der holländischen Firma Novacrop-Control zusammen, die Blattsaftanalysen machen. Mittels dieser Blattsaftanalysen kann festgestellt werden, welche Mineralien in der Pflanze vorhanden sind und an welchen es mangelt. Vor allem Spurenelemente tragen stark dazu bei, dass die Pflanze gesund und uneingeschränkt wachsen kann. Diese Mineralien gelangen so dann via Lebensmittel in die Körper von Menschen und Tieren. Da liegt es auf der Hand, dass das auch bei denen zur besseren Gesundheit beiträgt. In der regenerativen Landwirtschaft haben wir die Vision, dass alles, was regenerativ produziert wird auch wirklich Lebensmittel sind, die diese Bezeichnung auch verdienen.
Dann könnte man eigentlich sagen, dass die regenerative Landwirtschaft die neuesten Erkenntnisse umsetzt und Bio Altes anwendet?
Auch wir «Regenerativen» wenden die alten bewährten Prinzipien an. Aber es ist tatsächlich heute noch so, dass der Einsatz von Spurenelementen sehr restriktiv gehandhabt wird und ziemlich aufwendig ist.
Aber wenn die Argumente so überzeugend sind: Warum hat sich die regenerative Landwirtschaft denn bis heute noch nicht wirklich durchgesetzt?
Schwer zu sagen. Aber es hat bestimmt auch damit zu tun, dass Gerüchte viel zu ernst genommen werden. Mir sind schon Aussprüche wie «Ah, die regenerative Landwirtschaft, das ist eine Sekte» zu Ohren gekommen. In solchen Momenten kann ich schon nachvollziehen, wenn jemand etwas irritiert ist und mit diesen «regenerativen Sekten» nichts zu tun haben will (lacht).
Was allerdings schon sein kann, ist, dass die regenerative Landwirtschaft als sehr komplex rüberkommen kann. Und es ist schon so: Wer also nicht bereit ist, die komplexen Zusammenhänge zwischen Boden, Pflanzen, Nährstoffen und deren Wechselwirkungen nachzuvollziehen – und dazu gehören auch die Fragen, wie, wann und welche Nährstoffe oder Zwischenfrüchte sinnvoll eingesetzt werden sollten – sollte lieber darauf verzichten.
«Regenerative Methoden kommen sowohl bei Demeter- und Bio- als auch bei konventionell Produzierenden zum Einsatz.»
Simon Jöhr, Fachexperte für regenerative Landwirtschaft bei Regenerativ Schweiz
Was kann regenerative Landwirtschaft in Natur und Gesellschaft aus deiner Sicht konkret bewirken?
Vieles! In der Regel wird die Kohlenstoffeinlagerung – also der Humusaufbau – über alles gestellt. Ich sehe das aber ein wenig anders. Für mich kommt an erster Stelle ein besseres Wasserspeichervermögen, eine bessere Wasseraufnahme, sauberes Wasser, gesündere Pflanzen und widerstandsfähigere Böden, die unabhängig von nassen oder trockenen Jahren stabile Erträge liefern.
Es gab in der Vergangenheit immer wieder kontroverse Diskussionen rund um den tieferen Ertrag der biologischen Landwirtschaft im Vergleich mit konventionellen Methoden. Wie sieht dieser Ertrags-Aspekt bei der regenerativen Landwirtschaft aus?
Eines gleich vorneweg: Regenerative Methoden kommen sowohl bei Demeter- und Bio- als auch bei konventionell Produzierenden zum Einsatz. Und alle haben ihre ganz eigenen Flächenerträge pro Hektare. Die gängige Masseinheit dafür, die Dezitonne, steht für mich aber nicht – besser: nicht mehr – im Zentrum.
Und warum nicht?
In meinen Augen macht es einen grossen Unterschied, ob ich auf einem Hektar 100, 60 oder 40 Dezitonnen Weizen ernte bzw. dresche, wenn in den 100 Dezitonnen nicht die gleiche Nährstoffdichte vorhanden ist wie in den 60. Ich spreche also hier von den essenziellen Mineralien bis hin zu den Spurenelementen. Da kann es gut sein, dass ich aus einer auf dem Papier weniger ertragreichen Weizenernte mit deutlich weniger Mehl gleichviel Nährstoff in ein Brot bringe als bei einem höheren Flächenertrag. Doch leider läuft noch immer einiges falsch, denn von der Nährstoffdichte spricht kaum jemand!
Bei Regenerativ Schweiz haben wir ein hochkompliziertes Gerät – eine Art Foodscanner – im Test, das genau solche Informationen darstellen soll. Und da sprechen wir von innerer Qualität, die uns und unserem Körper das bringt, was wir auch wirklich brauchen – und nicht nur den Magen füllt.
«Da kann es gut sein, dass ich aus einer auf dem Papier weniger ertragreichen Weizenernte mit deutlich weniger Mehl gleichviel Nährstoff in ein Brot bringe als bei einem höheren Flächenertrag.»
Simon Jöhr, Fachexperte für regenerative Landwirtschaft bei Regenerativ Schweiz
«Bern ist Bio» fördert entlang der ganzen Wertschöpfungskette – also von der Produktion bis zum Vertrieb – biologische Produkte und Akteure. Was sind deiner Ansicht nach die grössten Anreize, weshalb ein Landwirt regenerative Landwirtschaft betreiben sollte?
Oh, da gibt es viele. Alleine schon der Erkenntnisgewinn, wenn jemand die ganzen Zusammenhänge in der Produktion nachvollziehen kann und dann sieht, dass sich der regenerative Ansatz tatsächlich ausbezahlt: Das macht richtig Freude, und das überträgt sich auf die ganze Wertschöpfungskette.
Klar kann man jetzt sagen, das sei bloss eine «schöngeistige» Betrachtungsweise – wir haben bis jetzt auch noch überhaupt nicht über den finanziellen Nutzen gesprochen. Dieser stellt sich nämlich erst mit der Zeit ein. Wer auf regenerative Methoden umstellt, gibt die ersten zwei, drei Jahre sicher zuerst einmal Geld aus, bevor sich das Ganze zu rechnen beginnt. Diese Ausgaben sind aber nicht laufende Kosten, sondern als langfristige Investitionen zu betrachten – beispielsweise in Böden, die gesunde Pflanzenbestände hervorbringen, immer optimale Erträge bringen, weniger Unkraut produzieren und mehr. Aber ich spreche da nicht von Kosten, ich spreche da von Investitionen, die sich dann eben auszahlen. Wenn der Boden gesunde Pflanzenbestände hervorbringt, die immer optimale Erträge erbringen, weniger Unkraut produziert etc.
«Meine Vision, mein Traum wäre eigentlich, dass wir künftig mit unseren Hosentaschentelefonen einen Apfel oder Erdbeeren scannen könnten und aufgelistet bekommen, wie wertvoll sie sind. Nicht nur äusserlich, sondern was wirklich drin ist!»
Simon Jöhr, Fachexperte für regenerative Landwirtschaft bei Regenerativ Schweiz
Den Ansatz der regenerativen Landwirtschaft kennen in der Produktion die meisten. Gibt es auch Bestrebungen, den regenerativen Ansatz entlang der ganzen Wertschöpfungskette einzubringen?
Ideal wäre es, ja. Meine Vision, mein Traum wäre eigentlich, dass wir künftig mit unseren Hosentaschentelefonen einen Apfel oder Erdbeeren scannen könnten und aufgelistet bekommen, wie wertvoll sie sind. Nicht nur äusserlich, sondern was wirklich drin ist!
Und klar haben wir unter «Regenerativen» auch schon darüber gefachsimpelt, wie eine Art «regenerative Lebensweise» aussehen könnte – weit über das eingeführte Work-Life-Balance-Gedankengut hinaus. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg.
Spannende Gedanken! Lass uns den Zukunftsfaden noch ein wenig weiterspinnen. Was denkst du: Wird die regenerative Landwirtschaft an Bedeutung gewinnen? Welche Trends kannst du erkennen?
Aufgrund eines fehlenden Labels steigen immer wieder Firmen auf den «regenerativen Zug» auf: Nestlé beispielsweise, aber sogar Syngenta hat den Begriff für sich benutzt. Von «Regenerativ Schweiz» aus kommunizieren wir jeweils sofort und stellen klar, dass solche Aktionen mit dem, was wir verfolgen, nichts zu tun hat.
Was wir Anhängerinnen und Anhänger der regenerativen Landwirtschaft verstehen und leben, wird Bestand haben und sich auch weiterentwickeln. Aber mir ist klar, dass das Thema zu komplex ist, um sich einfach so aus Interesse einmal reinzudenken und gleich mit der Umsetzung zu beginnen. So sehe ich in Zukunft zwar eine breitere Abstützung, aber für die grosse «Masse» in der Landwirtschaft wird es nie reichen. Leider.
Über Simon Jöhr
Simon Jöhr ist Fachexperte für regenerative Landwirtschaft bei Regenerativ Schweiz und Berater für Biolandbau, Betriebswirtschaft und Betriebsumstellung am INFORAMA in Langenthal
