Der Erntetag der Karotten ist immer ein besonderer Moment für die Familie Scheurer. Wochen vorher wird der Tag organisiert, das Wetter studiert, Helferinnen und Helfern angefragt und der Menuplan für das Highlight des Tages erstellt: das Mittagessen. Betriebsleiter Andreas Scheurer ist angespannt an diesem Tag. Er denkt nicht an das feine Mittagessen, das auf ihn wartet. Er macht sich Gedanken um die Ernte nach einem heissen und trockenen Sommer. «Wir haben viel Zeit und Arbeit in die Kultur gesteckt. Bei warmen und trockenem Wetter erst recht. Nun wird sich zeigen, wie die Ernte ausfällt, ob sich die Mühe gelohnt hat und sich Aufwand und Ertrag die Waage halten», sagt Scheurer.

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen

Die Erntemaschine läuft, die Helferinnen und Helfer stehen am Fliessband, beurteilen die Karotten und sortieren die Schlechten aus. Doch was bedeutet das konkret? Wie sieht ein gutes Rüebli aus? «Sie dürfen keine Fressspuren von Schädlingen aufweisen», erklärt Scheurer. Weiter wird in den Schweizerischen Qualitätsbestimmungen für Gemüse festgehalten, dass sie eine gleichmässige Form haben müssen, maximal 24 Zentimeter lang sein und nicht leichter als 200 Gramm wiegen dürfen. Sprich: Zu grosse, zu kleine, zu krumme oder mehrbeinige Möhren landen im Kröpfchen.

Die Hälfte von Scheurers 1 Hektare grossen Rüeblifeldes ist mittlerweile geerntet. Zeit für die wohlverdiente Mittagspause. Die Maschine ruht, die Helferinnen und Helfer geniessen die selbstgemachten Spätzli mit Rindsgeschnetzeltem und Salat. «Definitiv das Highlight des Tages», bestätigt ein Helfer, bevor er mit vollem Magen und gelöschtem Durst wieder auf die Maschine steigt. Die Nervosität von Betriebsleiter Scheurer hat nachgelassen. «Die Ernte sieht bis jetzt nicht schlecht aus», meint er schon etwas erleichtert.

«Es tut mir manchmal weh zu sehen, dass viele Karotten als schlecht beurteilt werden und zu Tierfutter werden, obwohl sie für den menschlichen Verzehr geeignet sind.»

Andreas Scheurer, Betriebsleiter des Biohofs Scheurer in Kallnach

52 Prozent landen bei Coop und Migros

Bis am Abend zieht die Maschine gesamthaft rund 29 Tonnen aus der Erde. Davon sortieren die Mitarbeitenden auf der Maschine rund 3 Tonnen aus. Die aussortierten Karotten kommen direkt in den Stall zu Scheurers Kühen und werden den Tieren in den kommenden Wintermonaten verfüttert. Das Fliessband ist jedoch so schnell, dass es unmöglich ist, alle krummen, vernarbten zu kleinen, zu grossen oder mehrbeinigen Rüebli zu erwischen. Ein Verarbeiter bzw. Zwischenhändler beurteilt das Gemüse ein zweites Mal und nimmt eine weitere Aussortierung vor.

Es ist Abend, die letzte Möhre ist aus der Erde gezogen, die Maschine gereinigt, die Mitarbeitenden gehen müde nach Hause. Scheurer transportiert die Ladungen zu Terraviva, dem Verarbeiter in Kerzers. Gesamthaft liefert er 26 Tonnen Möhren. Davon sind 15 Tonnen Speiserüebli, die der Norm entsprechen und dem Detailhandel weiterverkauft werden. Weitere 3.5 Tonnen sind sogenannte «Industrierüebli»: Diese sind zu gross für den Detailhandel und werden in der Regel an die Gastronomie geliefert. Übrig bleiben 7.5 Tonnen. Laut Terraviva wird diese unverkäufliche Ware von Landwirtinnen und Landwirten aus der Region abgeholt und für die Tierfütterung genutzt und wird damit – über einen Umweg – wieder zu Lebensmitteln.

Die «Rüeblirechnung» ist einfach: Für die aussortierten Karotten gehen die Produzierenden leer aus

«Es tut mir manchmal weh zu sehen, dass viele Karotten als schlecht beurteilt werden und zu Tierfutter werden, obwohl sie für den menschlichen Verzehr geeignet sind», erklärt Andreas Scheurer. Und er hätte auch schon eine Anregung zur Verbesserung: «Mit Anpassungen der Normen könnte man schon viel verändern.» Im Vergleich mit anderen Jahren ist Scheurer mit der Ernte zufrieden. «Der Einsatz hat sich gelohnt. Die Ernte ist besser ausgefallen als gedacht», freut er sich.

Die Buchhaltung ist rasch gemacht: Für die Speisekarotten erhalten Scheurers 1.05 Franken pro Kilogramm. Bei Coop und Migros bezahlen die Konsumentinnen und Konsumenten 3.30 Franken pro Kilogramm. Für die aussortierten Karotten geht Scheurer leer aus.

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