Gesetzesvorgaben: Es führen viele Wege nach Rom

«Mein Job bei der Bio Test Agro AG ist anspruchsvoll, das finde ich motivierend. Man muss das Fachwissen auf dem neusten Stand halten, regelmässig aktualisierte Vorgaben berücksichtigen und das Kontrollsystem laufend optimieren», erklärt Martina Keller auf die Frage, was Sie an ihrem Beruf schätzt. Die Grundlage für die Kontrolle und Zertifizierung von Bio-Betrieben bilden die Vorgaben der Bio-Verordnung und der Richtlinien von Bio Suisse. «Die Bedingungen sind zwar sauber niedergeschrieben, aber die Anwendung im praktischen Fall fordert stark vernetztes Denken», führt Martina Keller aus. Es gibt Vorgaben, die klar definiert sind: beispielsweise bestimmte Formulierungen für die Produktkennzeichnungen. Aber es gibt auch Gesetztestexte wie «der Betrieb muss sicherstellen, dass…», wo Martina Keller und ihr Team «verschiedene Wege zum Ziel» erkennen. Es führen also viele Wege nach Rom… Ein kleiner Verarbeitungsbetrieb mit nur einer Produktgruppe wie Glace und den drei Produkten Vanille, Schoggi und Erdbeere erfährt andere Kontrollmassnahmen als ein Grossbetrieb mit verschiedenen Produktgruppen, komplexen Prozessen und mehreren Standorten. «Es braucht viel Erfahrung oder minutiöse Recherchen, die individuellen Anfragen zur Kontrolle der Betriebe zu beantworten», weiss Martina Keller. Genau das findet sie aber auch «superspannend» an ihrem Beruf.

Ohne Tricksereien durch Kontrolle und Zertifizierung

«Wir schauen, dass immer Auditierende kontrollieren, welche die Tätigkeit bereits kennen», erläutert Martina Keller. So werden zum Beispiel Metzgereien von Personen aus genau diesem beruflichen Umfeld geprüft. Vetterliwirtschaft wird durch die strengen Vorschriften der Unparteilichkeit verhindert: «Es darf keine geschäftliche oder verwandtschaftliche Beziehung zwischen Kontrolleur und Betrieb bestehen. Zusätzlich trennen wir Kontrolle und Zertifizierung strikt voneinander: Die eine Person geht mit Checklisten auf den Betrieb und dokumentiert, eine andere verifiziert die gesammelten Daten und stellt dann ein Zertifikat aus.» So werden Tricksereien verhindert. «Unsere Kundinnen und Kunden schätzen die Expertise unserer Kontrollierenden sehr», betont Martina Keller. Und es liegt auf der Hand, dass jemand mit Erfahrung in einer Käserei auch besser verstehen kann, welche Herausforderungen genau dort anstehen.

Kosten und Zeit sind bei der Zertifizierung stark betriebsabhängig, zeigt Martina Keller auf: «Der Zeitaufwand beträgt von 45 Minuten bis zu einem Tag – abhängig von der Betriebsgrösse. Auch die Menge an geprüften Tätigkeiten spielt eine wichtige Rolle. Die Kosten dafür liegen in einer enorm breiten Spanne von ein paar hundert bis hin zu dreitausend Franken.»

Gekennzeichnet: Bio verpacken und etikettieren

Bei einem Auftrag für Kontrolle und Zertifizierung sind immer die Definition von Tätigkeiten – zum Beispiel Aufbereitung, Handel oder Import – und Sortiment entscheidend. Zertifizierungspflichtige Tätigkeiten sind in der Bio-Verordnung definiert. Dabei werden jeweils spezifische Vorgaben überprüft, im Bereich der Verarbeitung sind das die Mengenbilanz, die Kennzeichnung und die Verarbeitungsmethoden. Auch Rezepturen und damit Hilfs- und Zusatzstoffe sind wichtige Kontrollpunkte. «Die Zusatzstoffverordnung ist die rechtliche Grundlage, die Bio-Verordnung lässt davon nur noch eine deutlich kleinere Auswahl an Stoffen zu», erklärt Marina Keller. Dazu muss ein zertifizierter Betrieb seine Produkteliste bei der Zertifizierungsstelle auf dem neusten Stand halten, damit neue Produkte auch ausgelobt werden dürfen. Bei Kontrollen finden risikobasierte Proben zu Analysezwecken statt. Durch diese Kontrollmassnahmen wird sichergestellt, dass ein verarbeitetes Bio-Produkt aus mindestens 95 Prozent Bio-Zutaten besteht, keine Rückstände aufweist und richtig gekennzeichnet wird.

Klar ist, dass bei jeder Zutat ausgewiesen werden muss, ob sie Bio ist. Das ermöglicht den Überblick im Verkaufsregal. Während es für Bio Suisse ein Label gibt, existiert für alle nach Bioverordnung zertifizierte Lebensmittel keines. Die Bioknospe ist bekannt und anerkannt. Wie können nun aber nach Bioverordnung zertifizierte Produkte erkannt werden? Martina Keller erklärt: «Bio ist in der Bezeichnung oder dem Produktnamen ersichtlich», und ganz wichtig: «die zuständige Bio-Kontrollstelle muss gekennzeichnet sein». Bezogen auf die Produktverpackung geht Bio Suisse also deutlich weiter als die Bioverordnung, da ‘Überverpackung’ verboten ist und auch gewisse Materialien nicht den Nachhaltigkeitsvorgaben entsprechen. Die Bioverordnung besteht einzig darauf, dass keine Kontamination des Produkts auftreten darf, gibt aber keine weiteren Vorgaben für die Verpackung.

Bio braucht (fast) immer ein Zertifikat

Vorsicht: «Wer etikettiert, umpackt oder umfüllt, muss sich zertifizieren lassen», mahnt Keller, die immer wieder von Personen kontaktiert wird, die von den Lebensmittelinspektoraten eine entsprechende Auflage erhalten haben. Dabei unterstehen Betriebe, die ausschliesslich Handeln – also ein Bio-Produkt gekennzeichnet kaufen und unverändert direkt an Konsumierende in der Schweiz weiterverkaufen – nicht der Zertifikatspflicht. Die einzige Ausnahme stellen Gastro- und Restaurationsbetriebe dar: Die Zuständigkeit für die Kontrolle der korrekten Umsetzung der Vorgaben der Bio-Verordnung im Restaurant obliegt dem Lebensmittelinspektorat. Bio Suisse verfügt jedoch über sogenannte Gastro-Modelle, die für die Restauration anwendbar sind. Es gilt also, beim Restaurantbesuch selbst nachzufragen.

Werden Zertifikate auch aberkannt?

«Bio-Zertifikate werden nur sehr, sehr selten aberkannt», weiss Martina Keller. Sie spricht vorsätzliche Täuschungsversuche an, zum Beispiel den Einsatz von nicht Bio-Mehl im Brot. Nebst absichtlicher Täuschung begegnen die Fachleute der Bio Test Agro AG immer wieder unbeabsichtigten Abweichungen. Dann wird gegebenenfalls auch mal ein Produkt zur Vermarktung unter der Bezeichnung «Bio» gesperrt. Bei den meisten Abweichungen wird eine Frist zur Bereinigung mit nachfolgender Prüfung definiert. «Schliesslich wollen diese Betriebe aus Überzeugung mit Bio-Produkten arbeiten und richten sich auch dementsprechend aus. Das spürt man», ist Marina Keller überzeugt. Das Vertrauen in das Kontrollsystem und den Schweizer Bio-Markt mit seinen Bio-Produzentinnen und Produzenten ist also bestimmt gerechtfertigt.

Martina Keller (36) ist Lebensmittelingenieurin, Mutter, Bereichsleiterin Verarbeitung und Handel sowie Mitglied der Geschäftsleitung bei der Bio Test Agro AG. Nach der Matura und einem Praktikum bei Nestlé hat sie sich während dem Lebensmitteltechnologiestudium in Wädenswil viel Wissen über Lebensmittel erarbeitet. Ihre berufliche Tätigkeit im Bereich der Zertifizierung und Audits in der Lebensmittelverarbeitung und ein CAS in nachhaltiger Entwicklung gaben den Anschub zu ihrer Ausrichtung auf die Themen «Bio» und «Nachhaltigkeit». Bei Bio Test Agro AG fand Sie die perfekte Aufgabe, in der sie ihr Interesse für Zertifizierung und Nachhaltigkeit mit ihren Familienaufgaben unter einen Hut bringen kann.

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